Vermögensnachfolge: Überlassungsverträge in der notariellen Praxis
Von Ulf Schönenberg-Wessel, Kiel
Die Gestaltung der Vermögensnachfolge unter Lebenden ist ein regelmäßig im Notariat anzutreffender Beurkundungsauftrag. Dabei reicht die Motivation der Beteiligten von der vorweggenommenen Erbfolge über die Verschiebung von Vermögen zur Reduzierung von Pflichtteilsansprüchen, die Vermeidung eines Sozialregresses bis hin zur gleichmäßigen Beteiligung der Ehepartner am Immobilienvermögen.
Fingerspitzengefühl erforderlich
Der Wunsch „Vermögen zu übertragen“ fordert von den Mitarbeitenden des Notars ebenso wie vom Amtsträger selbst ein besonderes Fingerspitzengefühl bei der Ermittlung des Sachverhaltes und der Gestaltung der Urkunde. So wird die Übertragung von Grundvermögen unter Nutzungsvorbehalt regelmäßig von Steuerberatern als (steuer-)optimierte Gestaltung der Vermögensnachfolge empfohlen, die hierin enthaltenen Fernwirkungen etwa bei der Pflichtteilsergänzung oder dem Sozialhilferegress jedoch nicht mit bedacht. An dieser Stelle sind die Mitarbeitenden und der Amtsträger gefordert, eine interessengerechte Gestaltung zu empfehlen und die Beteiligten über die mit dem Rechtsgeschäft verbundenen (Fern-)Wirkungen aufzuklären. Auf Grundlage dieser Aufklärung kann dann eine zielgenaue und die eigene Haftung vermeidende Gestaltung erreicht werden.
Ausgestaltung des Überlassungsvertrages
Da der Begriff „Überlassungsvertrag“ gesetzlich nicht definiert ist, kann die Überlassung selbst sowohl in Form einer reinen Schenkung, einer Schenkung unter Vorbehalt als auch in Form einer Schenkung unter Auflage vollzogen werden. Der Überlassung eigen ist dabei die Entreicherung auf Seiten des Schenkers und die Bereicherung auf Seiten des Beschenkten. Behält sich der Schenker Rechte am Schenkungsgegenstand vor, ändert dies zunächst nichts an dem Umstand, dass es sich um eine Schenkung im Sinne des § 516 BGB handelt. Es wird insoweit zunächst die Substanz übertragen, während die Nutzungen beim Schenker verbleiben.
Leistungsbeziehungen unter den Partnern
Ob im Rahmen einer Übertragung Rechte vorbehalten oder als Gegenleistung eingeräumt werden, spielt regelmäßig eine untergeordnete Rolle, wenn die Gegenleistung im Verhältnis zwischen Erwerber und Veräußerer erbracht wird. Die „Netto-Zuwendung“ ist in (schenkung-)steuerlicher Hinsicht (vgl. § 7 ErbStG) in der Regel dieselbe. Die Unterscheidung zwischen vorbehaltenem Recht und Gegenleistung kann begrifflich allenfalls dann relevant werden, wenn Leistungsstörungen im Rahmen des Vertragsvollzuges hervortreten, da sich dann die Frage nach synallagmatisch verknüpften Leistungsbeziehungen stellt. Da im Rahmen von Übertragungen jedoch zumeist das Schenkungselement im Vordergrund steht, besteht jedoch oft kein echtes Synallagma. Die Leistungsbeziehungen und deren weitere Verknüpfung ergeben sich typischerweise aus den weitergehenden Regelungen der Parteien untereinander.
Vorweggenommene Erbfolge
Häufig erfolgen Überlassungen unter dem Begriff der „vorweggenommenen Erbfolge“. Hierunter sind solche Übertragungen zu verstehen, die ein Erblasser zu Lebzeiten an einen oder mehrere Erben macht. Sie richten sich nach dem Recht der Rechtsgeschäfte unter Lebenden und nicht nach dem Erbrecht.
Ob die entsprechenden Zuwendungen auf den Pflichtteil angerechnet werden oder nicht, ergibt sich aus der Formulierung „vorweggenommene Erbfolge“ nicht. Dies bestimmt sich nach § 2315 BGB. Demzufolge wird eine Zuwendung dann auf den Pflichtteil angerechnet, wenn sie dem Pflichtteilsberechtigten vom Erblasser zu dessen Lebzeiten mit der Bestimmung, dass sie auf den Pflichtteil angerechnet werden soll, gemacht worden ist. Anrechnungspflichtig sind also solche Zuwendungen, die der Erblasser bei Lebzeiten dazu bestimmt hat. Die Anrechnungsbestimmung muss vor oder bei der Schenkung erfolgen; eine nachträgliche Anrechnungsbestimmung ist grundsätzlich nicht möglich.
Die Anrechnungspflicht aus § 2315 BGB soll, ähnlich wie die Ausgleichung nach §§ 2050 ff. BGB, die Bevorzugung einzelner Pflichtteilsberechtigter unter Zuhilfenahme von lebzeitigen Zuwendungen verhindern. Allerdings führt die Ausgleichung gem. §§ 2050 ff. BGB nur dazu, dass bei der Berechnung der Pflichtteile lediglich die Anteile der Abkömmlinge des Erblassers angepasst werden. Bei der Anrechnung gem. § 2315 BGB werden die Pflichtteile aller Berechtigten angepasst. Anrechnungsfähig sind nur Zuwendungen des Erblassers.
Zuwendungszweck: Ausstattung
Überträgt der Schenker seinem Kind als Beschenktem einen Vermögenswert, so ist mit den Beteiligten zu erörtern, ob hierin gegebenenfalls eine Ausstattung liegt. Der Begriff der Ausstattung ist in § 1624 Abs. 1 BGB legal definiert. Danach gilt als Ausstattung, was ein Kind mit Rücksicht auf seiner Verheiratung, auf seine Begründung einer Lebenspartnerschaft oder auf die Erlangung einer selbstständigen Lebensstellung zur Begründung oder zur Erhaltung der Wirtschaft oder der Lebensstellung vom Vater oder von der Mutter erhält. Eine Ausstattung kann auch bei entfernteren Abkömmlingen in Betracht kommen. Für die Einordnung einer Zuwendung als Ausstattung ist nicht die von den Beteiligten gewählte Bezeichnung der Zuwendung entscheidend, sondern ausschließlich der Zuwendungszweck. Dieser sollte sich aus der notariellen Urkunde ergeben.
Schenkung und Steuerrecht
Der notarielle Überlassungsvertrag muss neben den üblichen schenkungsteuerlichen Aspekten auch dahingehend überprüft werden, ob die schenkweise Überlassung einen einkommensteuerlichen Tatbestand erfüllt. Davon ausgehend, dass die persönliche Steuerpflicht gem. § 1 EStG gegeben ist, ist der Vorgang näher zu überprüfen. Persönlich steuerpflichtig sind natürliche Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, § 1 Abs. 1 S. 1 EStG. Auf die ebenfalls denkbare beschränkte Einkommensteuerpflicht ist nachrichtlich hinzuweisen.
Die notwendigen Kenntnisse zum Überlassungsvertrag sind auch für Mitarbeitende von erheblicher Bedeutung. Hierbei gilt es, das System und seine Wirkungsweisen zu kennen und dies auf den konkreten Überlassungsfall anzuwenden.
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Schönenberg-Wessel / Szalai / Uhl / Hahner
Überlassungsverträge in der notariellen Praxis
Überlassungsverträge in der notariellen Praxis
Der Autor
Seit 2008 ist Ulf Schönenberg-Wessel Rechtsanwalt in der Kanzlei Siewert Schönenberg-Wessel und Partner in Kiel und betreut Mandanten umfassend in allen Bereichen des Notariats und der vorsorgenden Rechtspflege. Seinen anwaltlichen Schwerpunkt hat Ulf Schönenberg-Wessel im Bereich der Vermögensnachfolge, einschließlich der erbrechtlichen Themen im Gesellschafts-, Sozial- und Familienrecht.
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Stand: Oktober 2022