Haftungsgefahr im Notariat
Von Dr. Hans Gerhard Ganter
Drei Haftungsfallen, die Notare umschiffen sollten
Wer sich mit der Notarhaftung befassen muss, „segelt zwischen Scylla und Charybdis“, also in gefährlichen Gewässern. Das Bild, das dadurch entstehen kann, dass der III. Senat des BGH, der für Notarhaftung zuständig ist, hierzu signifikant weniger Entscheidungen als früher veröffentlicht, täuscht. Der Senat meidet, bewusst oder unbewusst, diese „gefährlichen Gewässer“, indem er die Schlachten – falls nicht schon der Haftpflichtversicherer befriedend wirkt – von den unteren Instanzen schlagen lässt. Gegen deren Entscheidungen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerden haben meistens keinen Erfolg, und da die Beschwerden in aller Regel mit einer Formalbegründung – also eigentlich ohne Begründung – zurückgewiesen werden, brauchen solche Entscheidungen nach ständiger BGH-Praxis auch nicht veröffentlicht zu werden. Dieses Vakuum wird teilweise vom Senat für Notarsachen (der für das Berufsrecht zuständig ist) ausgefüllt. Und im Übrigen tun die interessierten Kreise gut daran, die reichhaltige Judikatur der sogenannten Tatsachengerichte (LG und OLG) zu verfolgen, um zu erkennen, wie gefährlich die fraglichen Gewässer nach wie vor sind.
Drei Beispiele aus neuester Zeit für die Klippen, die es zu umschiffen gilt (damit soll das maritime Bild ein letztes Mal herangezogen werden) mögen genügen.
1. Sittenwidrigkeit eines Grundstückskaufs
Geht es um die Sittenwidrigkeit eines von dem Notar beurkundeten Grundstückskaufs, wenn der Verkäufer das Kaufobjekt erst kurz zuvor wesentlich günstiger eingekauft hat, und die umfassende Einbindung des Notars in das gesamte Immobiliengeschäft, die seine Kenntnis von den die Sittenwidrigkeit nahelegenden Umständen nahelegen, trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Umstände im Ausgangspunkt zwar der Geschädigte, weil er aus ihnen die seinen Anspruch begründende Amtspflichtverletzung herleitet. Indes obliegt es dem Notar, im Rahmen sekundärer Darlegungslast – jedenfalls, soweit ihm dies möglich ist – zu seiner Kenntnis und zur Einbindung in das Immobiliengeschäft vorzutragen (BGH, Urt. v. 9.6.2022 – III ZR 24/21, NJW 2022, 2754 Rn. 35 f.). Hierdurch kann ein Notar, der sich als Organ der vorsorgenden Rechtspflege besonders intensiv um eine Angelegenheit kümmert, leicht in die Bredouille geraten.
2. Untätigkeit des Notars
Ansuchen einer Partei (untechnisch gesprochen spricht man auch von „Aufträgen“) hat der Notar in angemessener Zeit zu erledigen. Das OLG Karlsruhe hat dazu bemerkt, dass eine Überlastung durch andere Aufträge die Untätigkeit des Notars grundsätzlich nicht rechtfertige. Denn ein Notar sei nicht verpflichtet, beliebig viele Aufträge anzunehmen, die zu einer Überlastung führen könnten. Er könne Beurkundungsaufträge ablehnen, wenn andere Amtsgeschäfte sonst nicht in angemessener Zeit erledigt werden könnten (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.2.2021 – 9 W 58/20, NJW-RR 2021, 1499 Rn. 19). Dies ist zwar zutreffend, setzt jedoch voraus, dass der Notar einen zuverlässigen Überblick über die bei ihm anhängigen Geschäfte hat und den Aufwand, der dadurch verursacht wird, annähernd richtig einschätzt, was vorausschauend schwierig sein kann.
3. Pflichtverletzung bei gestaltender Beratung
Das OLG Celle hat entschieden, ein Notar begehe keine Pflichtverletzung, wenn er den Urkundsbeteiligten als sichersten Weg die notarielle Beurkundung des Gesellschafterbeschlusses einer GmbH empfiehlt, mit dem die Gesellschafter der Übertragung des Gesellschaftsvermögens oder eines wesentlichen Teils davon zustimmen (OLG Celle, Beschl. v. 30.6.2021 – 3 U 72/21, ZIP 2021, 2077). Insofern bewegt sich der Notar deswegen noch auf „dünnem Eis“, weil immer noch ungeklärt ist, ob ein Notar im Rahmen der gestaltenden Beratung verpflichtet sein kann, den Rechtsuchenden darauf hinzuweisen, er bedürfe zur Verwirklichung seines Anliegens gar keiner notariellen Beurkundung, könne sich also die entsprechenden Kosten sparen.
Das Praxishandbuch für Notare
In bewährter Tradition gibt das Handbuch einen umfassenden Überblick über die notariellen Amtspflichten und die haftungsrechtlichen Folgen von Amtspflichtverletzungen. Daher kann das Werk nicht nur im Haftungsfall als Ratgeber herangezogen, sondern auch unabhängig davon als Kompendium der notariellen Amtspflichten gelesen werden.
Zum Autor
Dr. Hans Gerhard Ganter
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a.D.
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Stand: Dezember 2022