Soll ich Jura studieren? Ein Eignungstest

Ein Beitrag von Professor Dr. Roland Schimmel, Frankfurt am Main

 

Wer gegen Ende der Schulzeit ein Jurastudium in Erwägung zieht und die Entscheidung dafür oder dagegen nicht nur aus dem Bauch heraus treffen will, hat es nicht so leicht wie der Mitschüler, der in Chemie und Biologie schon jahrelang ein As war. Ob zur Neigung auch Eignung tritt, lässt sich bei den Rechtswissenschaften nicht ähnlich unmittelbar einschätzen wie bei den Naturwissenschaften. Ein paar Indizien gibt es aber doch; hier diskutieren wir das erste von etwa zehn.

 

Arbeiten Sie gern am Text?

Juristische Arbeit ist zu guten Teilen Textarbeit, im Studium und in der Praxis.

Gesetze und Verordnungen, Urteile und Verwaltungsakte, Schriftsätze und Verträge wollen gelesen und verstanden werden. Aber oft sind sie uneindeutig und müssen erst einmal interpretiert werden; Juristen nennen das Auslegung. Ob man damit gut zurechtkommt oder sogar ein bisschen Spaß daran hat, kann man näherungsweise aus dem eigenen Leseverhalten ableiten. Lesen Sie? Belletristik, Sachbücher, beides? Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Lesen und Interpretieren von literarischen Texten und Sachtexten im Deutschunterricht, in den Fremdsprachen, in Geschichte und Gemeinschaftskunde? Haben Sie schon einmal Texte zu übersetzen versucht?

Wer viel liest oder wenigstens keine Scheu vor dem Lesen hat, wird es leichter haben. Ein Jurastudium fordert klar überdurchschnittlich viel Lektüre: nicht nur Gesetze (die aber immer und immer wieder), sondern auch Lehrbücher, Gesetzeskommentare, Fachzeitschriftenbeiträge etc. Schon ein sogenanntes Kurzlehrbuch hat mehrere hundert Seiten, und nicht immer genügt die einmalige Lektüre. Rechtstexte folgen nicht nur einer Fachterminologie, sondern auch ganz eigenen Regeln über den Aufbau und die Art der Informationsdarstellung. Als Anfänger tut man sich mit einem Urteil des Bundesgerichtshofs oder einem Fachzeitschriftenbeitrag über ein aktuell streitiges Problem oft noch schwer. Weniger lesefreudige Mitstudenten steigen schnell auf Skripten und vorgedruckte Karteikarten um, aber das bewährt sich nicht immer. Je mehr Abkürzungen man beim Lesen nimmt, desto seltsamer werden die Ergebnisse: Man trifft durchaus Studenten, die am Ende ihres zehnsemestrigen Studiums keine rechte Vorstellung davon haben, aus welchen Teilen ein Gerichtsurteil besteht, weil sie sich die Lektüre von Urteilen einfach erspart haben. Kann klappen, aber Profi wird man so eher nicht.

 

Schreiben Sie gerne?

Wer gern schreibt, wird es ebenfalls leichter haben. Besonders, wenn man bereit ist, das Geschriebene zu überarbeiten und zu verbessern. Im Studium und in den meisten juristischen Berufen müssen Sie schreiben. Widerstrebt Ihnen das? Oder sind Sie umgekehrt gelobt worden für eine sinnvolle Gliederung Ihrer Gedanken, gute Schwerpunktsetzung, gelegentliche originelle Ideen?

Prüfungsleistungen im Studium und Arbeitsleistungen in der Praxis bestehen aus zusammenhängenden sinnvoll strukturierten Texten mit vollständigen Sätzen, die grammatikalischen Regeln folgen. Wenn Ihnen das schwer fällt oder einfach gegen den Strich geht, müssen Sie sich eine sehr spezielle Nische suchen, um juristischen Erfolg zu haben. Fast alle Studenten haben am Anfang Schwierigkeiten, sich an den Gutachtenstil zu gewöhnen, der ihre Gedanken – mit gutem Grund – in ein Korsett zu zwingen versucht. Das Korsett ist zunächst ziemlich unbequem, sein Nutzen erweist sich erst über die Zeit hinweg: Mit dem Gutachtenstil trennen Sie Wichtiges von Unwichtigem und Irrelevantem, Sie sortieren das Wichtige in eine für den Leser leicht zugängliche Reihenfolge, Sie ersparen allen Beteiligten die Diskussion überflüssiger Probleme – und Sie denken nicht mehr in erster Linie vom Ergebnis aus, sondern zum Ergebnis hin. Dadurch wird der Kreis möglicher Ergebnisse größer und die Begründung für Ihr konkretes Ergebnis besser und belastbarer. Aber zum Eingewöhnen braucht es ein wenig Geduld. Und eben die Bereitschaft, am eigenen Text verbessernd weiter herumzuwerkeln.

 

(Der Text ist ein leicht überarbeiteter Auszug aus Kapitel 4 von Griebel/Schimmel (Hrsg.): Warum man lieber nicht Jura studieren sollte - und trotzdem: Eine Ermutigung, Paderborn 2022.)

 

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Der Autor

Dr. Roland Schimmel

ist Professor für Wirtschaftsprivatrecht und Bürgerliches Recht an der Frankfurt University of Applied Sciences

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