Was zehrt im Jurastudium am meisten an den Nerven? – Es ist die Frage nach den Stressoren
Buchauszug aus Dyrchs, „Ist Jura das Richtige für mich?“, S. 19-21
Folgende drei kritische Stichpunkte sollten Sie kennen:
Erstens, das Notensystem: Juranoten sprechen für sich, aber nur, wenn man deren Vergabepraxis kennt. In juristischen Prüfungen kann man bis zu 18 Punkte erreichen. Ab 4 Punkten gelten Klausuren als bestanden. Danach staffelt es sich: bis 6 Punkte »ausreichend« (ca. 50 % aller Studenten), 7 bis 9 Punkte »befriedigend« (ca. 30 % der Kandidaten) und von 10 bis 12 Punkte ein »vollbefriedigend«, eine Notenstufe, die fast alle anstreben, gerade noch erreichbar erscheint, aber nur von ca. 10 % tatsächlich erreicht wird.
Darüber wird es extrem dünn: 13 bis 15 Punkte »gut« (ca. 2 % aller Studenten), eine Bewertung, die nicht nur »gut« ist, sondern »hervorragend«, 16–18 Punkte bleibt den Genies vorbehalten. Versuchen Sie einmal, Ihren Mitabiturienten aus anderen Fakultäten klar zu machen, warum ein Jurastudent bei 10 von 18 Punkten jubelt. Abfälliges Abwinken erwartet Sie.
Dieses Notensystem macht Stress: Die Erkenntnis, dass man voraussichtlich allenfalls mit »vollbefriedigend« abschneiden wird, kränkt das von der Schule verwöhnte Ego und bedarf eines langen Gewöhnungsprozesses. Ein ungesunder Noten-Konkurrenzdruck entsteht innerhalb der Kommilitonenschaft. Aber auch außerhalb mit Ihren Freunden. Diese Juranoten sind nämlich einfach nicht vermittelbar.
Zweitens, die Stofffülle: Eine Unmenge von Stoff muss verarbeitet werden. Sie werden sehr bald zu der Erkenntnis kommen: »Ich werde niemals alles wissen können!« Sie sehen es auf sich zukommen: »Es kann in den Klausuren alles dran kommen! Es gibt keine stoffliche horizontale Beschränkung!« Folge: Sie sind ständig unsicher. Das stresst ungemein!
Drittens, der Vergleich: Irgendeiner ist immer besser, hat mehr Punkte in den Klausuren, vielfältigere Zusatzqualifikationen, bringt bessere »soft skills« mit, ist weiter im Studium und hat sogar schon Auslandssemester hinter sich. Diese Sorgen kennt jeder Jurastudent: Die Topleistungen des Mensa- oder Hörsaalnachbarn bereiten Stress.
Sie kennen aber auch die wichtigtuerische Selbstreklame: »Meine Noten, meine Stärken, meine Scheine, mein Fleiß«. Es stimmt schon: Jura ist ein hartes Studium. Ihre überschaubare Schülerwelt wird geflutet werden von einer zuvor nicht für denkbar gehaltenen Menge an Informationen und Möglichkeiten, die zu hoher seelischer und körperlicher Belastung führen können, die einfach stressen.
Mit diesen stressigen Verunsicherungsfaktoren der Außenwelt müssen Sie umzugehen lernen und sich frühzeitig gegen sie wappnen. Gerade zu Beginn des Studiums wird vieles auf Sie einstürmen, auf das Sie niemand vorbereitet hat und was Ihnen Angst macht. Auch hier einige Stichpunkte:
Stofffülle - Alleskönner - Panikkommilitonen (Furcht steckt an) - Zeitdruck - Informationslawine der Ausbildungsliteratur - Vorlesungsunverständnis - Selbstüberforderung - Curriculare Unübersichtlichkeit - Hörsaalüberfüllung - Dozentendrohungen - Klausurengespenster - Bücherprobleme - Einschreibeformalitäten - Finanzierungsfragen - Nebenjobs - Studienplan - Infos en masse - Hörsaalsuche - Massenansturm - Mensaschlangen - Ein neues soziales Umfeld - Keine Ahnung von der Studienliteratur - Fehlende eigene Studienplanung - Horrorerzählungen der Altsemester - Anonymität - Isolationsangst - Ein Vorbeirauschen der Vorlesungsmonologe - Keine Lernkontrollen - Keine Lernstrategien - Akademische Freiheit oder Repetitorverschulung - Keine Strukturierungen - Zeitdruck - Stoffdruck
Aber getrost! Die meisten Probleme lassen sich gemeinsam lösen! Wenn Sie sich für Jura entschließen sollten, machen Sie alles »nach und nach«, nicht »alles gleichzeitig« und »sofort«. Für den Studienanfänger ist das Studium gerade dann, wenn er am Anfang der juristischen Leiter steht, am härtesten. Dass im Anfang Zweifel an Ihrer Wahl auftauchen, Ängste vor den Klausuren, dem Lernstoff, manch einer Doppelbelastung, vor schlechten Noten bestehen oder Sorgen über die Finanzen oder beruflichen Chancen aufkommen, ist nur allzu verständlich.
Unser Dialog hilft Ihnen aber hoffentlich über diese Anfängerbefürchtungen hinweg und hält sie in Schach. Aus der Zwickmühle: »Jurastudium« – »Ja!« – »Ja, aber!« – »Nein!« – »Nein, aber!« – zwei ganze und zwei halbe Möglichkeiten – müssen Sie früh raus. Bei jeder anstehenden Entscheidung gibt es zunächst immer zwei endgültige Optionen und zwei Wartestellungen. Entscheiden müssen Sie selbst, aber bitte auf solider Grundlage!
Dumm ist es, die »Alternative Jura« gewählt zu haben, ohne zu wissen, was eigentlich Inhalt dieser Alternative ist. Dümmer ist es, die »Alternative Jura« gewählt, ohne die Alternativen »B« und »C« genau geprüft zu haben. Noch dümmer ist es, die »Alternative Jura« gewählt zu haben, weil ein Dritter sie einem eingeredet hat oder einem nichts Besseres eingefallen ist.
Ihre Aufgabe müsste jetzt eine ehrliche Analyse Ihrer »Wackel-Situation « sein, um aus dem langgezogenen »Jein« der halben Möglichkeiten ein knappes »Ja« oder »Nein« zu Jura zu machen. Sie sind bald kein gegängelter Schüler mehr. Sie müssen Ihre Rolle als freier Jurastudent neu lernen. Dabei müssen Sie sich darüber im Klaren sein, dass es bei wichtigen Entscheidungen, wie der Aufnahme eines Jurastudiums, niemals ein 90:10 oder gar ein 99:1 gibt, sondern eher ein 51:49.
Und: Dass der unterlegene Teil oft und lange, manchmal bis ins Examen, rebelliert. Wenn es allerdings nicht mehr passt: Finden Sie etwas Besseres! In jedem Menschen steckt mindestens ein zweiter, nämlich der, der er auch sein könnte. Selbst bei einem Abbruch des Studiums scheitert nie der ganze Mensch, sondern immer nur ein Teil, nur der Aspirant in seinem konkreten Vorhaben des Studiums von Jura.
Sie müssen sich jetzt klarmachen, wer Sie sind und wer Sie gerne wären, was ein Jurastudium ist, und was es nicht ist. Sie müssen eine eigene Entscheidung treffen. In dem Wort Entscheidung steckt das Wort »scheiden«: Wägen und gewichten Sie nach Anhörung alles für Sie Maßgeblichen in einem inneren Dialog, um sich dann zu trennen von dem einen oder anderen.
Der Mensch ist Mensch, weil er in der Lage ist, frei eine Entscheidung zu treffen. Also entscheiden Sie sich! Einmal kann man dann umsatteln, wenn sich das aufgeputzte und gestriegelte juristische Pferd schon beim Aufgalopp als Mähre herausstellen sollte. Die Unzufriedenheit manches höhersemestrigen Studenten resultiert häufig aus der einfachen Tatsache, dass er sich für Jura entschieden hat, aber ständig denkt: »Hätte ich doch …« Nein: Entscheiden heißt scheiden! Entweder Jura oder Abschied von Jura!
Dyrchs
Ist JURA das Richtige für mich?
Ist JURA das Richtige für mich?
Ein Dialog mit dem Jurastudium